Mitarbeiterin oder Mitarbeiter lässt sich nicht impfen





Berechtigter Grund für eine Kündigung?
Zertifikatspflicht in Unternehmen und Arbeitgeberkündigungen



Zur Impfpflicht in Zusammenhang mit der Covid-Pandemie wurde ich von verschiedenen Führungskräften angesprochen. Deshalb gebe ich dazu gerne ein paar Gedanken und Erkenntnisse weiter. Die Diskussion beginnt oft mit dieser Frage: «Kann ich – oder muss ich – einem Mitarbeiter, einer Mitarbeiterin kündigen, wenn er oder sie sich nicht impfen lässt?»





Seit dem 13. September 2021 steht Arbeitgebern die folgende Möglichkeit offen: «Arbeitsplatz: Arbeitgeber dürfen das Zertifikat unter Umständen und nach Konsultation der Arbeitnehmenden in ihr Schutzkonzept integrieren.» Wie ist «unter Umständen» zu verstehen? Nach Konsultation? Was ist mit «in ihr Schutzkonzept integrieren» gemeint? Darf jetzt einem Mitarbeiter gekündigt werden, der nicht so mitspielt wie wir es verlangen? In einem Satz lässt sich die entscheidende Frage nicht beantworten. Die Antwort wird durch mehrere Faktoren beeinflusst, die beachtet werden müssen.

  1. Fürsorgepflicht

    Unternehmen haben eine sogenannte Fürsorgepflicht. Sie gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist nicht neu und gilt unverändert, auch in Zusammenhang mit der Covid-Thematik. «Arbeitgeber sind verpflichtet im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.» Quelle: OR (Obligationenrecht)

    ​In Bezug auf die Zertifikatspflicht heisst das:
    • • Stress-Situationen vermeiden.
    • • Geimpfte oder Ungeimpfte nicht bevorzugen/bevorteilen.
    • • Sicherstellen, dass sich niemand unfreiwillig outen/bekennen muss, als «nicht geimpft» zum Beispiel.
    • • Ebenfalls nicht erlaubt ist, dass Geimpfte oder Ungeimpfte stigmatisiert werden.

  2. Gesundheitsschutz

    Neben der Fürsorgepflicht gilt auch der Gesundheitsschutz zu den Pflichten des Arbeitgebers: «Der Arbeitgeber muss alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Gesundheitsschutz zu wahren und zu verbessern und die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten» Art. 6, Arbeitsgesetz. Für die Praxis bedeutet dies nun, dass das Zertifikat unter den nachfolgenden Bedingungen ins Schutzkonzept integriert werden kann. Wenn es: • ein notwendiger Bestandteil des Schutzkonzeptes ist und • wenn es zur Umsetzung der im Schutzkonzept definierten Massnahmen notwendig ist. Das bedeutet in der Umkehrung: Ohne Zertifikatspflicht kann das Schutzkonzept den Gesundheitsschutz (gemäss Arbeitsgesetz) nicht ausreichend gewähren und der Arbeitgeber könnte dann dem gesetzlichen Auftrag nicht genügend nachkommen.

  3. Anhörung der Arbeitnehmer
    Sind gemäss den Punkten 1 und 2 die Voraussetzungen für eine Zertifikatspflicht gegeben, müssen die Arbeitnehmer konsultiert und angehört werden. Das ist zwingend und soll vor der Einführung passieren. Hier noch einmal zur Wiederholung:
    • • Zwingend ist, dass «vorgängig die Arbeitnehmenden konsultiert» werden.

  4. Vertragsfreiheit
    Entscheidet sich nun der Arbeitgeber für die Integration des Zertifikates und erfüllt er die oben genannten Punkte, ist der Arbeitnehmer seinerseits in der Entscheidungspflicht. In der Schweiz gilt Vertragsfreiheit. Dem Mitarbeiter, der Mitarbeiterin steht somit frei, den Zusatz nicht zu akzeptieren. Dann kann er oder sie selber kündigen. Will er oder sie das nicht, kann wiederum der Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen. Dann wird der nächste Abschnitt (5. Interne Prozesse) relevant.

  5. Interne Prozesse
    Viele Unternehmen verfügen über verbindliche interne Prozesse, die vor einer Kündigung durch den Arbeitgeber eingehalten werden müssen.

    Die Abläufe sind zum Beispiel in einer
    • Trennungskultur,
    • Charta oder einer
    • Personalpolitik festgehalten.

    Diese definieren in der Regel:
    • Mit welchen Werten, Grundhaltungen die Trennung stattfinden soll.
    • Das Unternehmens- und das Führungsleitbild, aus dem Leitplanken für den Kündigungsprozess hervor gehen.
    • Welche Gespräche und wie viele Gespräche in welchem Zeitraum mit dem Mitarbeiter geführt werden müssen, bevor es zur Entlassung kommt. Zum Beispiel: mündliche Feedback-, Zielvereinbarungsgespräche, Verwarnungen und andere.

    Sind solche internen Prozesse vorhanden, dann sind sie ebenfalls verbindlich, da sie häufig ‘integraler Bestandteil der Anstellungsbedingungen’ sind.

Fazit


Die verkürzte Antwort auf die Ausgangsfrage: Ja, unter bestimmten Umständen kann einem Mitarbeitenden wegen dem Zertifikat gekündigt werden.


Dafür bedarf es aber einer Reihe von Vorkehrungen und Abklärungen. Diese beinhalten rechtliche Aspekte, aber auch menschliche und wirtschaftliche.


Schnelles Reinschiessen geht nicht. Denn dies kann zu einer sogenannt «missbräuchlichen» Kündigung führen. Was zwar dem Gekündigten den Arbeitsvertrag nicht mehr zurück bringt. Was aber zu sehr hohen Kosten führen kann, zu zeitaufwändigen Verfahren und zu emotional belastenden, nervenraubenden Situationen in der Zusammenarbeit.


Einmal mehr wird die Haltung zum matchentscheidenden Faktor. Darauf basieren bedachtes Handeln und durchdachte Vorbereitung aller Schritte. Dass möglichst niemandem gekündigt werden muss, bleibt auch bei speziellen Ausgangslagen das Ziel. Werden unbequeme Schritte unvermeidbar, bleibt Fairness der leitende Gedanke. Früher oder später zahlt sich immer aus, wenn menschliche, wirtschaftliche und rechtliche Aspekte gleichwertig respektiert werden.